Das Sozialgericht hat in einem jetzt veröffentlichten Urteil entschieden, dass eine Gesetzliche Krankenkasse unter bestimmten Umständen auch die Kosten einer neuartigen Behandlung in den USA übernehmen muss. Dies gilt auch dann, wenn zu der Behandlungsmethode noch keine Studien vorliegen, aber alle behandelnden Ärzte und Gutachter übereinstimmend davon ausgehen, dass die neue Behandlungsmethode alternativlos ist (Urteil vom 23.10.2018, Az.: S 8 KR 263/17). Dies gilt – nach dem Urteil – unabhängig von der Höhe der Kosten.
In dem Verfahren ging es um einen in Bremen lebenden Jugendlichen, der an einer seltenen Erkrankung, einer Bronchitis fibroplastica, litt, die mit lebensbedrohlichen Erstickungsanfällen verbunden ist. Nachdem ein Mediziner aus Philadelphia, USA, im Jahr 2016 in einer medizinischen Fachzeitschrift eine Studie über eine neue Behandlungsmethode für diese Erkrankung vorgestellt hatte, beantragten die Eltern des Jungen bei ihrer Krankenkasse die Übernahme der Kosten für eine Behandlung bei dem Mediziner in den USA. Die Krankenkasse holte daraufhin beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und bei anderen Medizinern Gutachten ein, die sämtlich zu dem Ergebnis kamen, die Behandlung sei wegen der Ausschöpfung sämtlicher Alternativen notwendig. Gleichwohl lehnte die Krankenkasse die Kostenübernahme ab. Die Methode entspreche nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Außerdem seien die Kosten sehr hoch (ca. 300.000 Euro) und die Klinik in den USA mache keine klaren Angaben, wie hoch die Kosten am Ende sein würden.
Im August 2017 hat der Kläger einen Eilantrag gestellt. Daraufhin hat das Sozialgericht die Krankenkasse verpflichtet, die Behandlungskosten vorläufig zu übernehmen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beklagten wies das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Beschluss vom 4.10.2017 zurück (Az.: L 16 KR 444/17 B ER). Daraufhin ließ der Kläger im Herbst 2017 die Behandlung in den USA durchführen. Seither sind nach seinen Angaben keine Erstickungsanfälle mehr aufgetreten. Die Kosten der Behandlung hat die Krankenkasse entsprechend der Verpflichtung im Eilverfahren vorläufig tragen müssen.
In dem Klageverfahren ging es noch um die Frage, ob die Krankenkasse die Kosten endgültig tragen muss. Dies hat das Sozialgericht gestützt auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 2 Abs. 1a i.V.m. § 18 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in dem jetzt veröffentlichten Urteil bejaht. Es hat vor allem darauf verwiesen, dass alle mit dem Verfahren befassten Ärzte – auch jene, die die Krankenkasse befragt hat – die Notwendigkeit der Behandlung bejaht haben. Etwas anderes gelte auch nicht, weil die Behandlung in den USA erfolgt sei. Denn eine erfolgversprechende Behandlung in Deutschland sei nach übereinstimmender ärztlicher Auffassung nicht möglich. Eine Herz- und Lungentransplantation sei entgegen der Auffassung der Krankenkasse keine Alternative, weil sie mit vielen Risiken für den Jungen verbunden sei. Außerdem sei unklar, ob nicht trotz Transplantation dennoch Erstickungsanfälle aufträten. Dass zu der neuen Behandlungsmethode noch keine Studien vorlägen, schließe die Verpflichtung der Krankenkasse zur Zahlung nicht aus, weil es für die Behandlung keine Alternative gäbe. Dass die Kosten des Krankenhauses in den USA wenig transparent – und auch sehr hoch – seien, sei im Krankenversicherungsrecht nicht entscheidend. Das gesetzliche Krankenversicherungsrecht enthalte keine Beschränkung des Behandlungsanspruchs wegen hoher Kosten.
Das Urteil des Sozialgerichts vom 23.10.2018 ist noch nicht rechtskräftig. Die Krankenkasse hat Berufung zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Az.: L 16 KR 533/18) erhoben.
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